Paul Hindemith



Von Leben, Werk und Wirkung
Teil II



Hier geht es zum Teil I von Paul Hindemith «Von Leben, Werk und Wirkung» ...

Filmmusik und musikalisches Neuland
Während seiner Lehrtätigkeit an der Berliner Musikhochschule widmete sich Hindemith auch verstärkt der Komposition von Filmmusik und dem Experimentieren mit neuen Instrumenten, wie dem elektronischen Trautonium, welches 1930 von Friedrich Trautwein entwickelt worden war. Für das Trautonium schrieb er unter anderem sogar ein Konzert mit Orchester.

„Ernste und große Musik“
1931 schrieb Hindemith in einem Brief „Es scheint so, als ob jetzt allmählich wieder die Welle für ernste und große Musik käme“. Sein neuer stilistischer Wandel zur „Konzertmusik“ wird in der Online Biografie der „Foundation Hindemith“ wie folgt charakterisiert: „Der Begriff «Konzertmusik» umschreibt mit der Institution des «Konzertes» das Repräsentative dieser Musik, die im Vergleich zu der Reihe der Kammermusiken Nr. 1-7 einfacher, eingängiger, überschaubarer, harmonisch regulierter und plastischer geformt ist. Sie verliert nun alles Grelle, Rüde oder Avantgardistische, auch das Nüchterne und Sachliche.“
Theodor W. Adorno äußerte zum „Philharmonischen Konzert“ Hindemiths: „ [...] die Melodik ist plastisch geprägt und der Zufälligkeit enthoben; die Harmonik kontrolliert. Dabei verschlägt es nichts, dass diese deutlich auf die Tonalität zurückgreift, wie sie schon im melodischen Kopfmotiv angelegt ist; es kommt zunächst nur darauf an, dass an Stelle bloß rhythmischer und kontrapunktischer, bewusst harmonische und melodische Probleme gestellt sind, die, konsequent genug verfolgt, aus sich selber zu jener Reinigung – damit aber Aktivierung des Hindemithschen Stils führen sollten, die mir bei Hindemith gefordert scheint.“
 
Hindemith und das dritte Reich
Während einige Nationalsozialisten anfangs versuchten Hindemith für sich zu gewinnen, geriet er gleichzeitig in den Fokus anderer, da er mit Feuermann und Goldberg zwei Juden in seinem Trio hatte und seine Frau zur Hälfte jüdisch war.
1934 wurde Hindemith Teil des Führerrats der Reichsmusikkammer. Kurz darauf kam es jedoch zum Skandal nach der Uraufführung seines Werkes „Mathis der Maler“ durch Wilhelm Furthwängler und die Berliner Philharmoniker. Nachdem Hindemith heftigst kritisiert wurde, nahm ihn Furthwängler, den die Nationalsozialisten zu jener Zeit hofierten, in einem Zeitungsartikel „Der Fall Hindemith“ in Schutz. Als dann aber Joseph Goebbels Stellung bezog und Hindemith als „atonalen Geräuschmacher“ titulierte, ließ sich Hindemith von seiner Berliner Professur beurlauben. Der Eklat führte dazu, dass Hindemiths Werke in Deutschland in der Folge kaum aufgeführt wurden. Auch die eigene Konzerttätigkeit im Inland nahm ab und für Auslandskonzerte benötigte Hindemith eine Genehmigung der Reichsmusikkammer.
1935 stellte Hindemith den berühmten „Schwanendreher“ fertig. Auch dieses Stück wurde im Hinblick auf die eigene Konzerttätigkeit gefertigt. Das Stück, das er selbst nie in Deutschland aufführte, spielt auf seine damalige Situation im dritten Reich an. So erklingen durch die Bratsche ausschnittsweise Melodien von Volksliedern, deren Text „Nicht länger ich's ertrag“ und „hab gar ein traurig Tag“ lautet. Nach Vermittlung durch Furthwängler nahm Hindemith 1935 die Aufgabe wahr, für die türkische Regierung am Aufbau musikalischer Ausbildungsstätten mitzuwirken. Als Lehrer holte er meist jüdische Musiker aus Deutschland in die Türkei, die somit der Verfolgung entfliehen konnten. Nachdem die Uraufführung seiner „Sonate in E für Geige und Klavier“ ein Erfolg war, antwortete das Regime mit einem generellen Aufführungsverbot seiner Werke.
1937 kündigte Hindemith seine Stellung an der Musikhochschule, bereits 1938 galt seine Kunst als „entartet“.
 
Neuland
Die erste Reise in die USA unternahm Hindemith 1937. Er ging auf Tournee und ließ unter anderem die frisch komponierte „Sonate für Bratsche solo“ in Chicago zum ersten Mal erklingen. Die USA-Reise hinterließ bei ihm einen bleibenden Eindruck, später sollte er hier ein Zuhause finden.
Zuvor zog Hindemith mit seiner Frau jedoch nach Bluche, in die Schweiz. Zum Umzug in die Schweiz und der Abkehr von Deutschland schrieb Hindemith 1938 an seinen Freund Willy Strecker: „Es gibt nur zwei Dinge, die anzu
streben sind: Anständige Musik und ein sauberes Gewissen, und für beides wird gesorgt.“
1939 kommentierte er seine Situation in Deutschland rückwirkend:
„Die Künstlermaßnahme in Deutschland ist durchaus in der Linie der gesamten Unternehmungen des Reiches, die ausschließlich nur noch von Größenwahn, Sadismus und Rohstoffmangel diktiert zu sein scheinen. Ich komme mir immer vor wie die Maus, die leichtsinnig vor der Fallentüre tanzte und auch hineinging; zufällig, als sie gerade mal draußen war, klappte die Türe zu!“
 
Künstlerisches Neuland
In seinem Werk „Die Unterweisung im Tonsatz. Theoretischer Teil“ verschriftete Hindemith  1937 seine Erfahrungen als Kompositionslehrer. Er behandelte die Beziehungen zwischen Tönen und ging auf interessante Weise auf die Regeln ein, die der Musik zugrunde liegen.
1939 erschien der zweite Teil „Übungsbuch für den zweistimmigen Satz“. Der dritte Teil, „Übungsbuch für den dreistimmigen Satz“ wurde posthum 1970 veröffentlicht. Von 1935 bis 1955 schrieb Hindemith 26 Sonaten für Bläser, Streicher, Klavier, Orgel und Harfe. Er selbst schrieb an Strecker hierzu: „Du wirst Dich wundern, dass ich das ganze Blaszeug besonate. Ich hatte schon immer vor, eine ganze Serie dieser Stücke zu machen. Erstens gibt es ja nichts Vernünftiges für diese Instrumente, die paar klassischen Sachen ausgenommen, es ist also zwar nicht vom augenblicklichen Geschäftsstandpunkt, jedoch auf weitere Sicht verdienstlich, diese Literatur zu bereichern. Und zweitens habe ich, nachdem ich mich nun schon mal so ausgiebig für die Bläserei interessiere, große Lust an diesen Stücken [...]“. Tatsächlich spielte Hindemith die oben genannten Instrumente, mit Ausnahme der Harfe, alle auch selbst.
 
Seine bekannte „Trauermusik“ komponierte Hindemith 1936 anlässlich des Todes des englischen Königs George V innerhalb eines Tages. Hindemith befand sich in England auf Konzertreise. Wiederum einen Tag später führte er das Stück anstelle des Schwanendrehers auf. Es folgten neben der Soloversion für die Viola eine für die Violine und das Violoncello.
 
Als Meilenstein kann sicher Hindemiths Oper „Mathis der Maler“ bezeichnet werden. Denn Hindemith schrieb selbst das Libretto zu seiner Oper. Nachdem die Zusammenarbeit mit Brecht gescheitert war, suchte Hindemith zunächst die Kooperation mit Gottfried Benn. Als dieser jedoch offen mit dem Nationalsozialismus sympathisierte, wandte sich Hindemith von ihm ab. Mit „Mathis der Maler“ spiegelte Hindemith auf einer Ebene seine Situation als Künstler im dritten Reich wider. Hierzu aus der Biografie der „Foundation Hindemith“: „Mathis ist in der Darstellung Hindemiths ein Künstler, der aus sozialer Verantwortung seine Malerei aufgibt, sich auf die Seite der Geknechteten schlägt, von ihnen jedoch bitter enttäuscht wird. Er erkennt, sein Bestes verraten zu haben: seine Kunst. Sie wird ihm als «Auftrag» zu malen wiedergeschenkt, ohne dass er die Erfahrungen des Elends, der ohnmächtigen Mitschuld vergessen kann. Sie wachsen seiner Kunst als moralische Stärke und Kraft zu. Mathis erkennt: Der Künstler, der seine Fähigkeiten verrät, bleibt sozial nutz-, ja verantwortungslos, mag er noch so sehr sein Gewissen durch Aktionismus beruhigen. Zu dieser Haltung findet offensichtlich Hindemith selbst; sie befähigt ihn, dem wachsenden politischen Druck standzuhalten.“ Die Uraufführung fand 1938 in Zürich statt.
 
Umzug in die USA
Nach anfänglicher Skepsis gegenüber dem „Land der begrenzten Möglichkeiten“ wie Hindemith die Vereinigten Staaten selbst  betitelte, fand er sich bald in der neuen Heimat ein. 1940 emigrierte Hindemith in die USA. Nachdem er anfangs mit einem Lehrauftrag in Buffalo auskam, ließ er seine Frau aus der Schweiz nachreisen, als er für das Wintersemester 1940/1941 eine Professur in Yale antreten konnte. Bis 1953 lehrte er hier. Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit im Bereich der Komposition entstanden die Abhandlungen „A Concentrated Course in Traditional Harmony“, „Elementary Training for Musicians“ und „Exercises for Advanced Students“.
 
Ab 1946 waren die Hindemiths amerikanische Staatsbürger. Hindemith war dem Land und den Menschen dankbar, insbesondere für die Art, wie sie als Deutsche, somit aus dem „Feindesland“, aufgenommen wurden und auch die anfängliche Skepsis gegenüber dem „American Way of Life“ wich einer Dankbarkeit für die persönliche Freiheit in der neuen Heimat und einem
Verständnis für die Lebensweise des amerikanischen Volks. Die Emigration wirkte sich auch sehr positiv auf den künstlerischen Erfolg Hindemiths aus. Seine Stücke wurden seinerzeit in den USA öfter aufgeführt, als die irgend eines anderen lebenden Komponisten. Er erhielt zahlreiche Ehrungen und Ehrendoktorwürden, ein Ehrenbankett von Dwight D. Eisenhower und eine Einladung zur Amtseinführung John F. Kennedys.
 
Hindemith und die alte Musik
Konrad Ewald schrieb über Hindemith: „[…] Er kennt sozusagen alle Instrumente, und er kennt auch die ältere Musik, was man nicht von jedem neueren Komponisten behaupten könnte.“ Hindemith begann bereits in den 20er Jahren die Viola d'amore zu spielen. Ab 1927 gab er entsprechende Konzerte, begleitet von Cembalo und Gambe.
1943 begann er im Rahmen einer wiederkehrenden Veranstaltung namens „Collegium Musicum“ an der Yale-University alte Musik mit Schülern und anderen Musikern aufzuführen. Auf die Authentizität der alten Musik legte Hindemith bei den Konzerten besonderen Wert. Er selbst dirigierte oder spielte die Viola d'amore, Viola da Gamba, das Fagott oder die Vielle.
 
Nachkriegszeit
Ab 1945 erfreuten sich Hindemiths Werke in Deutschland wieder großer Beliebtheit. Hindemith selbst schlug aber Angebote, zurück nach Deutschland zu kommen und hier am Wiederaufbau des Musikbetriebes mitzuwirken, aus. Nach Reisen durch Europa, entschied Hindemith ab 1951 im Wechsel einen Lehrstuhl in Zürich und Yale zu bekleiden. 1953 entschied er sich jedoch dafür, seinen Lebensmittelpunkt wieder in die Schweiz zu verlegen und gab die Tätigkeit in Yale auf.  Nun vertiefte Hindemith seine Tätigkeit als (Gast-) Dirigent und dirigierte auch fremde Stücke. 
 

Der Tod Hindemiths
Am 16. November 1963, seinem 68. Geburtstag, erkrankte Paul Hindemith. Zur Abklärung der Krankheitsursache wurde er in ein Krankenhaus verbracht. Am 9. Dezember erlitt Hindemith dann Schlaganfälle, die zu seinem Tod am 28. Dezember 1963 führten. Ursächlich war, wie später festgestellt wurde, eine Blutung der Bauchspeichel
drüse. Seine Frau Gertrude Hindemith begann nach dem Tode Pauls mit der Arbeit an dessen Nachlass. Sie selbst starb am 13. Mai 1967.
 
„Paul Hindemith ist der große Praktiker des 20. Jahrhunderts. Von Haus aus ist er Geiger und Bratscher, er war Orchestermusiker, Quartettbratschist, Solist, Dirigent, Musiklehrer, Schriftsteller." so Konrad Ewald über den Komponisten. Hier wird schnell deutlich, mit welchen vielseitigen Talenten Hindemith gesegnet war. Als Instrumentalist, insbesondere als Bratschist, erntete er seinerzeit bereits viel Ruhm. Seine Kompositionen sicherten ihm aber über seine Lebenszeit hinaus einen Platz in den Geschichtsbüchern.
 
Quellen und weiterführende Literatur:
http://www.hindemith.info
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Hindemith
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Furtwängler#Furtw.C3.A4ngler_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus
http://www.kammermusikfuehrer.de/werke/929
 
Bilder:
Paul und Gertrud Hindemith 1945: http://www.hindemith.info/fileadmin/10
Ehrendoktor der Columbia Universität 1948: http://www.hindemith.info/fileadmin/11
Hindemith dirigiert in Hamburg, 1960: http://www.hindemith.info/fileadmin/14
Paul und Gertrud Hindemith 1963: http://www.hindemith.info/fileadmin/15
 
Klangbeispiele Online:
https://www.youtube.com/watch?v=NkFbrUEhSCc
Der Schwanendreher
hr-Sinfonieorchester
Antoine Tamestit: Viola
Paavo Järvi: Dirigent
Aufgeführt am 14. Dezember 2012, Alte Oper Frankfurt

Trauermusik
https://www.youtube.com/watch?v=hTPM-Ts6czo
RCA Victor Symphony Orchestra
Paul Hindemith: Viola
Bruno Reibold: Dirigent
Aufnahme vom April 1939


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Ein Blogartikel von Mascha Seitz
Bilder: © Fondation Hindemith, Blonay (CH)

 
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